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Gewerkschaften kritisieren Verfassungsbruch

Koalitionsvertrag sieht Absenkung des Gehaltsniveaus bei Krankenkassen vor

22.04.2025·Die Gehälter bei gesetzlichen Krankenkassen werden bisher mit den Gewerkschaften in eigenen Tarifverträgen geregelt. Sie liegen oftmals oberhalb der Gehälter, die nach dem "Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst" (TVöD) bei vergleichbaren Eingruppierungen gezahlt werden. Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD nun vereinbart, dass sich auch die Gehälter bei Krankenkassen am TVöD orientieren sollen, um Verwaltungskosten einzusparen. Die Gewerkschaften sind empört und halten die Regelung für verfassungswidrig.

Zunächst nur als Ergebnis der Arbeitsgruppe 6 "Gesundheit und Pflege" der Koalitionsverhandlungen, hat es eine Regelung in den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD geschafft, die weitreichende Konsequenzen für Beschäftigte in der Sozialversicherung und damit auch der Krankenkassen haben kann. So heißt es auf Seite 110 des Vertrages im Thema Gesundheit zum Punkt "Bürokratieabbau im Gesundheitswesen" ab Randnummer 3512:

"Alle sozialversicherungsrechtlichen oder selbstverwaltenden Körperschaften des öffentlichen Rechts im Gesundheitswesen, die aus dem Beitragsaufkommen finanziert werden, sollen die gleiche Gehaltsstruktur abbilden, die für die Mitarbeitenden der niedergelassenen Ärzteschaft, der Krankenhäuser und des öffentlichen Gesundheitsdienstes gelten. Künftig sollen sich die Gehälter der gesetzlichen Krankenkassen, des Medizinischen Dienstes und weiterer Akteure am Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) orientieren. Mit diesen Maßnahmen schaffen wir Strukturveränderungen mit erheblichem Einsparpotenzial."

Während sich der Staat seiner milliardenschweren Finanzverantwortung für gesamtgesellschaftliche Leistungen der Krankenkassen (z. B. Beiträge für Bürgergeldempfänger) per Koalitionsvertrag weiter entzieht, sollen nun die Beschäftigten der Krankenkassen über die Absenkung ihres Gehaltsniveaus indirekt dazu beitragen, diese Leistungen mitzufinanzieren.

Gewerkschaft GdS bestreitet Rechtmäßigkeit

Mit scharfer Kritik reagiert die Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS) auf die Regelung des Koalitionsvertrages. "Ein solcher Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie ist durch nichts zu rechtfertigen - weder rechtlich noch sachlich", erklärt Maik Wagner, Bundesvorsitzender der GdS. Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen fördere nicht nur Innovation und Effizienz, sondern sichere auch die Versorgungsqualität für die Versicherten. Wagner: "Eine pauschale Übertragung des TVöD auf die Sozialversicherungsträger würde die Innovationskraft abwürgen und die Versorgung der Menschen gefährden". Die hochqualifizierte Arbeit bei Krankenkassen und im Medizinischen Dienst (MD) mit einem Einheitstarif abzuspeisen, riskiere Motivation, Qualität und Fachkräftebindung gleichermaßen, so der GdS-Vorsitzende.

© GDS
GdS-Bundesgeschäftsführer Stephan Kallenberg
Aus Sicht der Gewerkschaft wäre zudem jeder einseitige Eingriff des Gesetzgebers in bestehende Tarifverträge verfassungswidrig. Auch eine gesetzliche Beendigung von Tarifverträgen sei ausgeschlossen. Es könne allenfalls Druck auf Krankenkassen und MD ausgeübt werden, die Tarifverträge zu kündigen. Das ändere "aufgrund der für praktisch alle Tarifverträge geltenden Nachwirkungen aber erst einmal gar nichts", erklärt GdS-Bundesgeschäftsführer Stephan Kallenberg gegenüber kkdirekt. Auch zu berücksichtigende Besitzstände müssten bei einem Umstieg von den bisher geltenden Tarifverträgen auf den TVöD zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt werden. Seitens der GdS als Fachgewerkschaft bestünde aber keine Bereitschaft, über einen Umstieg zu verhandeln, weil der Ansatz völlig verfehlt und kontraproduktiv sei.

Befürchtungen um sinkende Versorgungsqualität

Auch die im Koalitionsvertrag genannte positive "Strukturveränderung" durch die Orientierung am TVöD sei nicht nachvollziehbar, kritisiert Kallenberg. Die Krankenkassen hätten sich im GKV-Wettbewerb aufgestellt, um moderne Versorgungsstrukturen und guten Service anzubieten, aber auch um Kosten- und Fallmanagement im Sinne der Versichertengemeinschaft zu leisten. Dafür brauche es sehr gut ausgebildete und hoch motivierte Beschäftigte, von denen neben fachlich komplexen Aufgaben auch ausgedehnte Servicezeiten und direkte Kundenkontakte zu leisten sind. Hierbei müssten oftmals negative Entscheidungen kundenorientiert überzeugend begründet und kommuniziert werden. Krankenkassen und MD hätten jedoch schon jetzt große Probleme, diese Beschäftigten zu finden und zu binden. Mit den Gehaltsstrukturen des TVöD würde dies nach Überzeugung der GdS unmöglich.

Kaum Einsparungen durch Umstieg möglich

Einer sinkenden Versorgungsqualität stünde nach Einschätzung der Gewerkschaft auch kein "erhebliches Einsparpotenzial" gegenüber. Die Personalkosten bei gesetzlichen Krankenkassen lägen durchschnittlich im mittleren einstelligen Prozentbereich der Gesamtausgaben. Selbst bei Einsparung "aller" Personalkosten, würde der Zusatzbeitragssatz laut GdS bestenfalls um einen halben Prozentpunkt sinken. Der Umstieg auf einen lediglich "günstigeren" Tarifvertrag wäre demnach nicht "beitragssatzrelevant". Für eine Neiddebatte sei zudem kein Platz. Auch heute gebe es bereits einen gesetzlichen Rahmen für die zwischen Krankenkassen und Gewerkschaften vereinbarten Tarifverträge. Jede Krankenkasse und jeder MD werde von der Aufsicht intensiv geprüft. Dabei seien auch für die Personalkosten die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit anzuwenden. Kassen und MD, die verhältnismäßig mehr für Personal ausgeben, müssten (und könnten!) das erklären. Zudem erfolge die Zuweisung der Verwaltungskosten aus dem Gesundheitsfonds pauschaliert. Träger, die mehr für ihr Personal ausgeben als der Durchschnitt, müssten diese Mehrkosten bereits jetzt an anderer Stelle einsparen. Deshalb, so Kallenbach gegenüber unserer Redaktion, seien die jetzigen Pläne schlicht Augenwischerei.

Die Tarifkommission der GdS hat am 15.04.2025 den Koalitionsvertrag und dessen Auswirkungen auf die Tarifpolitik in den AOKn diskutiert. Sie appelliert an die Vorstände der AOKn, öffentlich Stellung für die Beschäftigten zu beziehen.

DGB: Klare Kompetenzüberschreitung des Gesetzgebers

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verurteilt die Regelung des Koalitionsvertrages. "Der Gesetzgeber überschreitet mit diesem Plan klar seine Kompetenzen und greift massiv in die Tarifautonomie ein". Die Gehälter würden in freien Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern vereinbart - so sehe es unser Grundgesetz vor. Im Tarifvertragsgesetz sei zudem geregelt, dass Tarifverträge nur von Tarifparteien selbst geändert oder gekündigt werden können. Der Staat habe hier weder Mitspracherecht noch Mandat. Um die finanzielle Schieflage der GKV zu korrigieren, sei die verlässliche Steuerfinanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfänger und eine Dynamisierung des Bundeszuschusses zur GKV hilfreicher. "Doch genau diese notwendigen Schritte hat die Koalition nicht vereinbart - mit spürbaren Folgen, nicht nur für die Beschäftigten, sondern für alle Versicherten in diesem Land", so DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Die ebenfalls angefragte Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft "ver.di", die auch Tarifpartner vieler Krankenkassen ist, hat sich nicht zum Thema positioniert.

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© 2000-2025 Redaktion kkdirekt; alle Rechte vorbehalten, alle Angaben ohne Gewähr.

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